Stefanie Fuchs: Wohnungslosenhilfe stärken. Quelle: rbb-online.de

Hilfen für Wohnungslose stärken

Stefanie Fuchs

Stefanie Fuchs betont unser Engagement in der Wohnungslosenhilfe. Derzeit wird unter Beteiligung aller Akteure und der Betroffenen eine Strategie für die gesamte Stadt entwickelt. Es wird nicht über wohnungslose Menschen gesprochen, sondern mit ihnen.

34. Sitzung, 29. November 2018

Stefanie Fuchs (LINKE):

Vielen Dank! – Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Zuerst möchte ich zwei Punkte vorneweg stellen, die mir wirklich wichtig sind. Als Erstes möchte ich den vielen haupt- und ehrenamtlichen Mitarbeitern der Wohnungslosenhilfe danken. Diese Männer und Frauen zeigen uns, was es braucht in dieser Stadt, nämlich Menschlichkeit, Wärme, Zuwendung und Zivilcourage.

Vielen, vielen Dank für die Arbeit, die Sie Tag und Nacht für wohnungslose Menschen in dieser Stadt leisten! Ihre Arbeit – und da spreche ich hoffentlich im Namen des ganzen Hauses – verdient höchste Achtung und Anerkennung.

Und ein zweiter Punkt ist mir sehr wichtig: Bitte lassen Sie uns heute eine zielorientierte Diskussion führen. Das, was in den letzten Tagen in den sozialen Netzwerken geschrieben wurde, ist an Menschenverachtung kaum noch zu überbieten. Wir sprechen hier nämlich von Menschen! Es geht um Menschen, die Teil unserer Gesellschaft sind, Menschen, die unsere Unterstützung brauchen und nicht unseren Hochmut und erst recht nicht unsere Verachtung.

Also lassen Sie uns bitte die Diskussion um die Wohnungslosenpolitik in dieser Stadt nicht auf dem Rücken der Schwächsten unserer Gesellschaft führen, sondern sach- und lösungsorientiert.

Kommen wir zur Sache: Seit Jahren war es im Bereich Wohnungslosenpolitik sehr ruhig. Außer im Bereich der Kältehilfe fand keine öffentliche Diskussion über den Bereich der wohnungslosen Menschen statt. Die aktuell geltenden Leitlinien – es wurde schon angesprochen – werden nächstes Jahr 20 Jahre alt. Seit dem Amtsantritt von Senatorin Elke Breitenbach, Staatssekretär Alexander Fischer und ihrem Team ging in Berlin ein Ruck durch die Wohnungslosenpolitik. Bereits im Jahr 2017 zeigte sich das in der Kältehilfe. Von ca. 630 Plätzen im Jahr 2016 gab es eine Steigerung auf 1 000 Plätze im Jahr 2017, aktuell sind es 1 200 Plätze. Noch wichtiger aber war die Einberufung der 1. Strategiekonferenz Wohnungslosenhilfe im Januar dieses Jahres. Zum ersten Mal wurde in dieser Stadt wirklich ein breiter Dialog über das Thema Wohnungslosigkeit gestartet. Hier wurde gezeigt, wie es gehen kann, wenn man es denn will. Es wurden alle an einen Tisch geholt: die Verwaltungen, und zwar alle, die Vereine und Verbände, die sich jeden Tag in dieser Stadt für wohnungslose Menschen einsetzen, und auch – das finde ich besonders wichtig – die Betroffenen. Hier wurde also nicht über wohnungslose Menschen gesprochen, sondern mit ihnen. In den Arbeitsgruppen, die regelmäßig tagten, wurde offen über alle Möglichkeiten diskutiert. Ja, man kann, man muss diskutieren. Man muss ausgetretene Pfade verlassen und auch mal das Unmögliche denken. Man muss Ideen und Vorstellungen diskutieren und Lösungen finden und sie dann auch angehen – und das im Sinne der Menschen und nicht mit Blick auf etwaige Erwähnung in der Presse oder persönlicher Profilierung, egal auf welcher politischen oder privaten Ebene.

Und nein, es sind nicht alle Probleme gelöst, auch nicht mit der 2. Strategiekonferenz im Oktober. Aber es gibt gute Ansätze und auch erste Schritte, die gegangen werden. Dazu gehört ganz sicher die Einrichtung einer Koordinierungsstelle für die Kältehilfe. Diese Koordinierungsstelle hat sich das ganze Jahr um die Organisation der Kältehilfeplätze gekümmert. Dadurch waren wir tatsächlich in der Lage, bereits im Oktober mit ca. 400 Plätzen zu starten. Hier muss ich aber auch sagen, dass es ja wohl nicht das Ziel sein kann, die Kältehilfe als Parallelstruktur auf das ganze Jahr auszuweiten, das heißt, die Notversorgung der Kältehilfe zur Regel zu machen. Dazu gehört auch das Projekt „Housing First“. Das ist quasi ein Paradigmenwechsel im Bereich der Wohnungslosenpolitik. Hier geht es nicht darum, Menschen „wohnfähig“ zu machen, nein, hier geht es darum, Menschen ein Dach über dem Kopf zu geben, denn erst dann hat dieser Mensch auch den Nerv dafür, sich mit Ämtern, Krankenkassen auseinanderzusetzen, also den Weg ins Regelsystem zu finden. Das Geld für diese wichtigen Projekte hat R2G in den Doppelhaushalt eingestellt.

Es geht hier aber auch, wie in vielen anderen Bereichen, um bezahlbaren Wohnraum. Das zeigt auch die Zahl von 37 000 ordnungsrechtlich untergebrachten Menschen in der Stadt. Es geht um steigende Mieten, es geht um Verdrängung. In diesem Bereich ist Prävention ein wichtiges Thema. Auch hier war R2G nicht untätig. Mit der Überarbeitung der AV Wohnen haben wir dafür gesorgt, dass 85 000 Menschen ihre Miete wieder bezahlt bekommen und damit die Gefahr der Wohnungslosigkeit abgewendet wurde. Um hier auch noch mal einige Veränderungen der AV Wohnen aufzuführen: Für Wohnungslose oder von Wohnungslosigkeit Bedrohte ist bei Neuanmietung eines Wohnraums eine Überschreitung der Richtwerte von 20 Prozent möglich. Es wurden weitere Härtefallbestände eingeführt, so zum Beispiel bei der Pflege naher Angehöriger bzw. bei eigener Pflegebedürftigkeit, Behinderung oder Erkrankung. Auch im Präventionsbereich sind bereits Gelder eingestellt. Ich nenne hier nur mal ein paar Punkte: Es gibt die unabhängige Sozialberatung in den Bezirken, um Menschen vor Verlust von Wohnungen zu bewahren. Es gibt die Energieschuldenberatung bei der Verbraucherzentrale, damit niemandem in der Stadt der Strom abgestellt oder wegen Energieschulden gekündigt wird.

Und wir werden den Mietrechtsschutz für Transferleistungsbeziehende verbessern. Das sind alles wichtige Punkte, um Menschen vor Wohnraumverlust zu schützen und sie in ihren Wohnungen zu halten.

Ich will es noch einmal sagen: Es sind längst nicht alle Probleme gelöst. Es gibt noch sehr viel Arbeit. Aber es geht eben nur mit kleinen Schritten zum Ziel. Das verspricht weniger Schlagzeilen, ist oft mühsam, eignet sich nicht für Facebook oder Twitter, aber jeder noch so kleine Schritt, ist ein Schritt voran. Unser Ziel muss immer sein, dass niemand in unserer Stadt auf der Straße leben muss.

Ein weiterer Schritt auf diesem Weg ist es, belastbare Zahlen zu bekommen. Eine der neuen Arbeitsgruppen der Strategiekonferenz hat sich ausschließlich mit diesem Thema beschäftigt. Das Ergebnis ist, dass im ersten Halbjahr 2019 Zahlen erfasst werden sollen. Das ist etwas, das seit Jahren von Aktiven in der Wohnungslosenhilfe gefordert wurde. Aufgrund der ausführlichen Diskussion mit allen Beteiligten gibt es jetzt einen Weg, der auch gegangen wird.

Aber, wie gesagt, es gibt viele Aufgaben, die angegangen werden müssen. Ich nenne mal einen Punkt, der in den Diskussionen in den letzten Tagen auch immer wieder angesprochen wurde. Es geht um die Versorgung wohnungsloser Menschen auch am Tage. Hier müssen wir auch in den Bezirken weiter um entsprechende Angebote werben. Es gibt Bezirke, die sind wirklich gut aufgestellt, wenn es um Tagesstätten für wohnungslose Menschen geht. Es gibt aber auch Bezirke, in denen es wirklich noch Potenzial gibt. Das müssen wir, der Haushaltsgesetzgeber, auch in den Verhandlungen zum nächsten Doppelhaushalt im Auge behalten und entsprechend finanzieren.

Obdachlosigkeit ist eine der wichtigsten sozialen Fragen in unserer Stadt. Wir haben mit den Ergebnissen der Strategiekonferenz die Möglichkeit, wirklich voranzukommen. Dazu gehört – ich sagte es schon am Anfang –, dass die 20 Jahre alten Leitlinien der Wohnungspolitik nun umfassend überarbeitet werden. Das kann aber nur als ressortübergreifende Aufgabe angegangen werden. Auch das zeigen die Ergebnisse der Strategiekonferenz. Zum Beispiel hat die Arbeitsgruppe zur medizinischen Versorgung deutlich auf Probleme hingewiesen. Eines davon ist z. B., dass Menschen, die bei uns auf der Straße leben, auch immer älter werden. Wir müssen uns also auch im pflegerischen Bereich mit dem Thema Obdachlosigkeit auseinandersetzen. Dazu gehört auch die Frage nach Pflegeplätzen für wohnungslose Menschen, oder die Frage, ob man eine niedrigschwellige Pflege für Menschen ohne Wohnung auf der Straße hinbekommt.

Ein kleiner, wichtiger Schritt im Bereich Gesundheit ist bereits gegangen worden, und zwar mit der Errichtung einer Krankenwohnung zum 1. November 2018 durch den Caritasverband. Der gesamte Bereich ist ein Thema für die Gesundheitsverwaltung. Eine weitere Arbeitsgruppe hat sich mit dem Thema junge obdachlose Straßenkinder beschäftigt. Auch das ist leider eine wachsende Gruppe von Wohnungslosen bei uns in der Stadt. Die Ergebnisse der Arbeitsgruppe werden jetzt in anderen Gremien wie z. B. dem Landesjugendhilfeaussschuss weiterbearbeitet. Hier muss die Jugendverwaltung ihren Teil dazu beitragen, eine Lösung zu finden, und diese dann auch umzusetzen.

Das waren einmal zwei Beispiele, die zeigen, dass Wohnungslosenpolitik eben nicht nur ein Thema für die Sozialverwaltung ist. Wir müssen diese große Aufgabe alle gemeinsam angehen. Wir müssen gemeinsam Verantwortung für die Menschen in dieser Stadt übernehmen. Wir müssen gemeinsam Lösungen finden und diese dann auch umsetzen. Wir müssen gemeinsam für ein soziales Berlin für alle streiten und arbeiten. Mit „alle gemeinsam“ meine ich Politik, Verwaltung, Haupt- und Ehrenamtliche – und natürlich die Betroffenen. Lassen Sie uns im Sinne der Menschen, die unsere Hilfe brauchen, miteinander Lösungen finden und umsetzen! – Vielen Dank!