Stefanie Fuchs: Wohnungslosenhilfe stärken, Quelle: rbb-online.de

Wohnungslosenhilfe stärken

Stefanie Fuchs
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Stefanie Fuchs erklärt, was die rot-rot-grüne Koalition in der Wohnungslosenhilfe bereits erreicht hat und was mit den neuen Leitlinien geplant ist. Sie macht klar: "Diese Koalition bekämpft die Armut, nicht die Armen in dieser Gesellschaft."

46. Sitzung des Abgeordnetenhauses von Berlin, 12. September 2019

Aktuelle Stunde

Stefanie Fuchs
(LINKE):

Vielen Dank! – Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Auch heute möchte ich als Erstes den vielen haupt- und ehrenamtlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in der Wohnungslosenhilfe danken. Vielen Dank für die Arbeit, die Sie Tag und Nacht für wohnungslose Menschen in dieser Stadt leisten!

Die Wohnungslosenpolitik ist ein Feld mit vielen unterschiedlichen Herausforderungen. Es gibt nicht mehr die klassische Gruppe: männlich, mittleren Alters der wohnungs- und obdachlosen Menschen. Die Klientel und damit auch die Problemlagen haben sich deutlich verändert. Wir reden inzwischen z. B. von Familien mit Kindern, Frauen, pflegebedürftigen Menschen oder auch Menschen mit starken medizinischen Problemen.

Aber schauen wir uns erst einmal an, was im Bereich der Wohnungslosenpolitik bisher erreicht wurde. Wir haben mit dem Doppelhaushalt 2018/2019 pro Jahr 12 Milli­o­nen Euro in den Bereich der Wohnungslosenpolitik gesteckt, um die vielfältigen Probleme zu lösen. Mit diesem Geld wurde unter anderem die Straßensozialarbeit aufgestockt, hier vor allem auch die Sozialarbeit für Kinder und Jugendliche, die auf den Straßen in Berlin leben. Mit dieser Straßensozialarbeit wird Vertrauen aufgebaut und werden gemeinsam mit den Betroffenen Wege gesucht, wieder in die eigenen vier Wände zu kommen. Dieser Senat hat das Platzangebot der Kältehilfe verdoppelt. Auch für diesen Winter sind wir bereits auf einem guten Weg, die 1 200 Plätze mit Start der Kältehilfesaison anbieten zu können. Ein wichtiger Schritt, um diese Plätze rechtzeitig zur Verfügung stellen zu können, war die Einrichtung der Koordinierungsstelle. Diese Kältehilfesaison startet in Berlin nun bereits im Oktober und endet erst im April.

Auch die Bezirke, die über die sozialen Wohnhilfen eine wichtige Arbeit für in Not geratene Menschen leisten, erhalten seit dem Doppelhaushalt 2018/2019 1,2 Millio­nen Euro mehr, um diesen wichtigen Bereich auszubauen. Auch die Prävention wurde mitgedacht. Es wurde die Sozialberatung in den Bezirken finanziert. Hier geht es natürlich darum, den Menschen zu helfen, bevor sie ihre Wohnung verlieren.

Auch die bezirklichen Schuldnerberatungen wurden gestärkt. Hier muss immer darauf geachtet werden, dass es sich meist um unterschiedliche Problemlagen handelt. Es geht um Mietschulden, Energieschulden und weitere Schulden, die die Menschen tief in die Schuldenfalle getrieben haben. Diese Koalition bekämpft die Armut, nicht die Armen in dieser Gesellschaft.

Ich will in aller Deutlichkeit sagen: Bei allen Anstrengungen, die unternommen werden – obdachlose Menschen gehören zu unserer Stadt und zu unserer Gesellschaft.

Wir werden die Probleme, die seit Jahren nicht angegangen wurden, nicht in zwei, drei oder vier Jahren lösen. Wir alle wissen es, ich will es trotzdem noch einmal betonen: Die Leitlinien der Wohnungslosenpolitik in Berlin sind seit 20 Jahren nicht angefasst worden. Heute, fast auf den Tag genau 20 Jahre später, werden im Abgeordnetenhaus die neuen Leitlinien der Wohnungsnotfallhilfe und der Wohnungslosenpolitik diskutiert. Ich finde, das zeigt sehr deutlich, welchen Stellenwert das Thema Wohnungslosenpolitik bis zum Jahr 2016 hatte. Und das sollte sich vielleicht der eine oder andere Kollege auf der Zunge zergehen lassen, bevor er gleich wieder reflexmäßig lospoltert, dass diese Koalition im Bereich Wohnungslosenpolitik nicht genug tut: Diese Koalition hat sich die Überarbeitung der Leitlinien vorgenommen. Es gab seit 1999 viele Anläufe zur Überarbeitung, aber keiner hat zu einem Ergebnis geführt. Rot-Rot-Grün hat die Wohnungslosenpolitik zu einem sozialpolitischen Schwerpunkt gemacht. – Bitte keine Zwischenfragen!

Präsident Ralf Wieland:

Keine Zwischenfragen!

Stefanie Fuchs (LINKE):

In der Herangehensweise zeigt sich der deutliche Paradigmenwechsel im Umgang mit wohnungslosen und obdachlosen Menschen und diesem Politikfeld. Die Senatsverwaltung ist die Überarbeitung übrigens nicht in ihrem stillen Kämmerlein eingegangen. Es wurde vielmehr eine Strategiekonferenz einberufen. Zum ersten Mal wurde in dieser Stadt ein wirklich breiter Dialog über das Thema Wohnungslosigkeit gestartet. Es wurden alle Beteiligten an einen Tisch geholt: die Verwaltungen, und zwar alle, die Vereine, die Verbände und vor allem auch die Betroffenen. Hier wurde also nicht über wohnungs- und obdachlose Menschen gesprochen, sondern mit ihnen. Es tagten neun Arbeitsgruppen fast ein Jahr lang, und es gab eine weitere Strategiekonferenz, in der der Senatsverwaltung wichtige Aufgaben ins Hausaufgabenheft für die Überarbeitung der Leitlinien geschrieben wurden.

Nun sind sie also da, die neuen Leitlinien der Wohnungsnotfallhilfe und der Wohnungslosenpolitik. Ihnen liegt das Papier vor. Sie haben es sicher alle gelesen, daher möchte ich nur einige Punkte herausgreifen. Als Erstes möchte ich den Bereich Prävention und Wohnraumverlust ansprechen. Dieser Bereich wird in den Leitlinien in zwei Phasen aufgeteilt. Die erste Phase bedeutet: Anzeichen für drohenden Wohnungsverlust liegen vor. – Hier muss unkompliziert mit den Menschen Kontakt aufgenommen werden, und es muss zu einer engen Zusammenarbeit aller beteiligten Akteure – also der betroffenen Person, der Vermieter, der Leistungserbringer, der Jobcenter, der Schulen usw. – kommen. Auch wenn es für uns alle logisch und notwendig erscheint: Das wurde so noch nicht aufgeschrieben und entsprechend auch nicht angegangen. Es geht hier auch um Kontrollmechanismen, um Ratenvereinbarungen, um die direkte Überweisung der Miete und die Mietschuldenübernahme vor dem Verlust des Wohnraums.

Dann haben wir die zweite Phase. Diese Phase bedeutet: Akuter Wohnraumverlust steht bevor. – Hier muss eine direkte Kontaktaufnahme erfolgen, um konkrete Maßnahmen abzustimmen. Verhandlungen mit Vermietern müssen stattfinden, und im schlimmsten Fall, dem Wohnraumverlust, müssen das Hilfesystem und alle Beteiligten vorbereitet sein, um die betroffenen Menschen aufzufangen und schnell wieder in eigenen Wohnraum zu bringen. Für all diese Maßnahmen in den zwei Phasen sind die entsprechenden Adressaten aufgeführt. Das sind zum einen die Senatsverwaltungen, die entsprechende Voraussetzungen und Vernetzungswege schaffen müssen, es sind aber auch die Bezirke und die Jobcenter.

Mein zweiter Punkt sind die Fachstellen. Schon lange fordern Expertinnen und Experten die Schaffung von Fachstellen für Wohnungsnotfälle. In den neuen Leitlinien sind sie nun enthalten. Hier sollen alle Teilkonzepte, die für die Bearbeitung von Wohnungsnotfällen erforderlich sind und ansonsten über verschiedene Ressorts verteilt sind, zusammengeführt werden. Auch hier sind die Adressaten für die Umsetzung aufgeführt und die Aufgaben explizit dargestellt.

Als letzten Punkt möchte ich die Wohnungsnotfallstatistik und die gesamtstädtische Steuerung nennen. Auch die gesamtstädtische Steuerung ist ein dickes Brett, das wir in Berlin bohren wollen. Alle Unterkünfte sollen nach und nach erfasst und in ein berlinweites System eingetragen werden. Es sollen einheitliche Standards für die Unterbringung definiert und festgeschrieben werden. Ergebnis muss sein, dass die Bezirke in einem System nach Unterbringungsmöglichkeiten suchen können – zum Beispiel nach Plätzen für Menschen mit Behinderung oder für Familien und das im gesamten Stadtgebiet.

Um zu wissen, wer wo in welcher Form untergebracht werden muss, brauchen wir dringend eine Wohnungsnotfallstatistik als Datengrundlage. Grundsätzlich soll sich eine Wohnungsnotfallstatistik in drei Punkte gliedern. Erstens – akut wohnungslose Menschen, zweitens – von Wohnungslosigkeit bedrohte Menschen, drittens – die Menschen auf der Straße. Als erster wichtiger Schritt sei hier die Bündelung der bereits vorhandenen Statistiken zu nennen. Wenn an unterschiedlichen Stellen unterschiedliche Zahlen verwaltet werden, hilft das niemandem. Natürlich ist hier auch die Zählung der Menschen auf der Straße nötig. Es kursieren die unterschiedlichsten Zahlen, und wir müssen uns hier Klarheit verschaffen. Wir alle wissen, dass diese Zählung bereits für dieses Jahr geplant war, und ja, es ärgert uns alle, dass es jetzt erst Januar 2020 wird. Die Zählung kommt aber, und wir werden dann auf Grundlage der Wohnungsnotfallstatistik in der Lage sein, kurz-, mittel- und langfristige Wohnungsnotfallstrategien zu erarbeiten, die sich am tatsächlichen Bedarf orientieren.

Das waren nur drei der elf im Papier aufgeführten Handlungsfelder und Maßnahmen. Zu jedem Punkt könnte man etwas sagen, sei es das Hilfesystem, die Kältehilfe, junge wohnungslose Menschen auf der Straße oder auch die gesundheitlichen Versorgung. Gerade in diesem Bereich zeigt sich die Wirkung der Strategiekonferenz und der entsprechenden Arbeitsgruppe. Im vorliegenden Haushaltsplanentwurf mit den eingestellten Geldern für die Versorgung wohnungsloser Menschen stellt sich auch die Senatsverwaltung für Gesundheit, Pflege und Gleichstellung ihrer Verantwortung für die obdachlosen Menschen in Berlin.

Natürlich führen auch diese Leitlinien nicht dazu, dass ab sofort alle Probleme im Bereich Obdach- und Wohnungslosigkeit geklärt sind. Es muss auch weiterhin in alle Richtungen gearbeitet werden. Die Prävention muss weiter ausgebaut werden, und wir müssen auch weiterhin die akute Situation der wohnungslosen Menschen in der Stadt verbessern. Das Projekt Housing First muss weitergeführt werden. Bisher sind ca. 30 Menschen über dieses vom Land Berlin geförderte Projekt wieder in eine eigene Wohnung gezogen. Wir müssen weiter über Safe Places nachdenken und Lösungsansätze mit der Stadtgesellschaft, den Bezirken und natürlich den Betroffenen diskutieren.

Ich freue mich über diese Leitlinien und nehme sie als Ansporn für die weitere Arbeit für und vor allen Dingen mit den wohnungslosen und obdachlosen Menschen in dieser Stadt. Bitte lassen Sie uns konstruktiv und gemeinsam an einer sozialen Stadt Berlin arbeiten! – Vielen Dank!

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